Und wenn es doch nur eine Phase ist?

Nur Aufmerksamkeit?

Als ich mit der Aussage meines 12 jährigen Kindes konfrontiert war, dass es kein Mädchen, sondern ein Junge sei, war ich zunächst überrascht. Und als nächstes kam die Ungläubigkeit. Woher weiß ein Kind sein Geschlecht? Was denkt sie sich da wieder aus? Will sie nur provozieren oder einfach wieder mal im Mittelpunkt stehen?

Mein jüngstes Kind war schon immer recht extrovertiert, mochte die Aufmerksamkeit – in meinen Augen meist im positiven Sinne. Aber ist DAS eine gute Strategie, um Aufmerksamkeit zu bekommen? Mir waren diese ganzen Gedanken ziemlich unangenehm und sie passten auch gerade nicht wirklich in unser Leben.

Corona hatte unser aller Leben gerade sehr im Griff – Lockdown mit Home-Schooling zwang die Kinder zu Hause zu bleiben. Ich versuchte, mein Arbeitsleben zwischen Home-Office und Büro-Präsenz zu organisieren. Zusätzlich nebenher zwei Kinder in unterschiedlichen weiterführenden Schulen mit verschiedenen Systemen zu Hause zu beschulen, war rückblickend ein Gebirge an Aufgaben, das ein normaler Mensch kaum einfach so bewältigen konnte. Aber in den Momenten – und ich bin sicher, dass Du das rückblickend ähnlich erfahren hast – versuchen wir alle irgendwie bestmöglich zu funktionieren und den Berg Schritt für Schritt zu bezwingen.

In dieser Zeit war ich also mit der Tatsache konfrontiert, dass mein Kind ein anderes Geschlecht „sein will“. Ich fragte mich, ob vielleicht diese Lockdown-Zeit gerade für die Kinder viel Raum für die digitalen Medien lässt und sie somit viele medialen Einflüssen ausgesetzt sind. Trotz vereinbarter Medienzeiten war es schlichtweg nicht möglich, die Bedürfnisse meiner Kinder nach Kontakt, Austausch und sozialer Interaktion zu erfüllen bzw. Ausgleich zu schaffen. Wie auch -  war ich selbst ja überfordert mit der Situation.

Das naheliegendste für mich war in dieser Situation: Abwarten. Und natürlich habe ich mir die oben gestellten Fragen nicht reflektiert beantwortet. Das Abwarten hatte zunächst augenscheinlich den Effekt, den ich mir erhoffte. Das Thema war zunächst nicht mehr präsent. Allerdings: mein Kind zog sich mehr und mehr zurück, hatte durch den Lockdown ohnehin kaum noch Kontakte – nicht mal virtuell. Im Nachhinein erkannte ich, dass es litt -  still und leise. Mein Kind erzählte mir ab und an von Influenzern, die über von „trans“ und „non-binary“ sprachen – und ich kam nicht darauf, dass es etwas mit ihm zu tun haben könnte.

Und nun noch ein neuer Name?

Aber das Thema war nicht wirklich verschwunden. Das wurde mir sehr deutlich bewusst, als mein Kind mich gebeten hat, ab jetzt einen anderen Namen und das männliche Pronomen zu verwenden. Dem Wunsch konnte ich nicht sofort nachkommen. Wie sollte das denn gehen? Sie war doch meine süße Tochter und ich fand ihren Namen schon immer so schön. Daher habe ich ihn ja auch für sie ausgesucht. Ich hing an dem Namen... Also schob es hinaus, in dem ich argumentierte, dass so eine Änderung ja von den anderen Familienmitgliedern wahrscheinlich nicht ernstgenommen wird und wie solle das eigentlich in der Schule ablaufen?

Rückblickend gesehen, habe ich versucht, meinem Kind „die Idee“ auszureden. Mein Gedanke dabei war auch: Und wenn ihr der Name in einem halben Jahr nicht mehr gefällt, muss ich mich (und alle anderen) wieder umgewöhnen? Ich hoffte, dass „die Idee“ in einigen Tagen wieder verfliegen würde. Tat sie nicht. Mein Kind war hartnäckig, brachte das Thema immer wieder an, bis ich mich schließlich darauf einließ. Ok, dann versuchen wir es eben eine Zeitlang. Ich wollte mein Kind zunächst einmal unterstützen. Es ist ja nur der Name und das Pronomen. Die Umgewöhnung dauerte lange - gefühlt war es kaum zu schaffen. Hier kannst Du mehr darüber lesen. (Link auf anderen Blogartikel). Und dennoch dachte ich mir, so eine sprachliche Veränderung ist ja schnell wieder rückgängig zu machen.

Mittlerweile begleitete uns das Thema schon einige Monate. Es musste doch nun mal langsam wieder aufhören...

Der Weckruf!

Der radikale Weckruf für mich war der Moment, als mir mein Kind nachts eine Whatsapp-Nachricht schrieb, dass es nicht mehr leben wolle. Und erst da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: mein Kind meint es wirklich wirklich ernst! Meiner aufsteigenden Panik versuchte ich mit Aktivität beizukommen: Termine bei Kinderarzt und Psychiater gemacht und etliche Psychotherapeut*innen abtelefoniert, um jemanden zu finden, der meinem Kind so schnell wie möglich helfen kann. Ich fühlte mich getrieben und voller Angst. Und ich fühlte mich schuldig... warum hatte ich nicht früher reagiert? Aber woher sollte ich denn wissen, ob es nicht nur eine Phase ist?

Hinweise, dass es nicht nur eine Phase ist:

Es hat sich für mich gezeigt, dass mehrere Faktoren zusammenspielen, woran Du erkennen kannst, dass es keine Phase ist:

  • Das Thema ist über mehrere Wochen/Monate präsent, manchmal versteckt – manchmal offen kommuniziert

  • Dein Kind äußert den Wunsch, andere Kleidung oder eine andere Frisur als bisher tragen zu wollen.

  • Das Verhalten Deines Kindes verändert sich, z.B. Rückzug von der Familie und/oder Freunden, keine gemeinsamen Familienaktionen mehr.

  • Die schulische Leistungen sinken.

  • Der Kleidungsstil verändert sich, meist sehr weite Kleidung, um die Veränderung des Körpers zu verdecken.

  • Das Hygiene wird vermieden, z.B. weniger duschen – durch die Ablehnung des Körpers insgesamt oder einzelner Bereiche (Dysphorie) ausgelöst

Sicher gibt es noch mehr Anzeichen. Jedes davon – auch in Kombination kann auch auf eine andere emotional herausfordernde Situation hindeuten. Deshalb ist es so wichtig, Dein Kind aufmerksam zu beobachten und achtsame Fragen zu stellen. Der Austausch mit Deinem Kind ist immens wichtig, damit es sich gesehen fühlt und sich nicht noch mehr verschließt. Offenheit und Vertrauen lässt sich nicht mit Druck erreichen oder erzwingen. Deshalb ist Deine innere Haltung zu Deinem Kind so wichtig.

Was sind achtsame Fragen?  

Das können offene Fragen sein, nach den Empfindungen und Gefühlen des Kindes, z.B. “Wie fühlst Du Dich gerade? Was beschäftigt Dich gerade?”

Wenn Du merkst, dass Dein Kind traurig ist, könnte eine achtsame Frage lauten: “Du wirkst auf mich traurig. Magst Du sagen, was Dich traurig macht?”

 

Falls Du mit Deinem Kind im Gespräch über „trans“ bist, könnte eine achtsame Frage sein: “Was wünschst Du Dir für Dich? Womit konkret würdest Du Dich besser fühlen?”

 

Damit öffnest Du den Raum für Dein Kind, ohne bereits indirekt eine Wertung vorwegzunehmen. Eine wertende Frage wäre bspw.: “Meinst Du nicht, dass andere Dich dann komisch ansehen?” oder auch: “Hast Du dann nicht Angst, dass andere Dich auslachen?”

Abwertende Fragen sind auch: “Weißt Du eigentlich, dass es für Dein Umfeld eine große Umstellung ist?” oder: “Bist Du Dir klar darüber, was Du Deinem gesunden Körper damit antust?” Die Liste ließe sich noch sehr lange fortsetzen...

 

Durch achtsame Fragen zeigst Du Deinem Kind, dass Du offen bist für seine Sichtweisen und echtes Interesse hast. Es spürt dadurch, dass Du es ernst nimmst und in einen Dialog mit ihm eintreten willst. Das Vertrauen zwischen Euch kann wieder wachsen und Eure gemeinsame Verbundenheit wird gestärkt. Dadurch wird sich Dein Kind mehr und mehr auch Dir öffnen können.

Wenn Du mehr darüber wissen möchtest, wie Du eine stärkende Kommunikation mit Deinem Kind gestalten kannst und wie Du mehr Sicherheit zum Thema „Transidentität“ gewinnst, melde Dich zu meinem Newsletter an. Darin gebe ich Dir Tipps und Beispiele an die Hand für den alltäglichen Umgang. im Newsletter erfährst Du wertvolles Wissen, was Dir hilft, mehr Verständnis für die Betroffenen und Dein Kind zu haben.

Wenn Du nach einer individuellen Unterstützung suchst, melde Dich für ein kostenfreies Gespräch bei mir. Wir finden gemeinsam heraus, ob und wobei ich Dich konkret unterstützen kann.

 

Bunte Grüße

Deine Katrin

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Sind Pubertätsblocker schädlich? - Teil I

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Ich gestehe: ich habe mein Kind nicht ernst genommen