Sind Pubertätsblocker schädlich? - Teil I
Wenn sich Kinder oder Jugendliche als trans outen und sie ihren Körper, insbesondere ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale, als falsch empfinden und diesen ablehnen, dann kommt spätestens mit dem Einsetzen der Pubertät der Begriff „Pubertätsblocker“ ins Spiel. In den vergangenen Monaten wurde der Einsatz von Pubertätsblockern immer wieder von den Medien und der Politik aufgegriffen und kontrovers und zum Teil heftig diskutiert.
Wenn Du, wie ich auch, Elternteil eines trans* Kindes oder Jugendlichen bist, wirst Du sehr wahrscheinlich irgendwann vor der Herausforderung stehen, Dich mit diesem Thema eingehend auseinanderzusetzen. Solange unsere Kinder noch nicht volljährig sind, können wir als Eltern eine Behandlung unseres Kindes mit Pubertätsblockern befürworten oder verhindern. Das ist eine große Verantwortung, die wir tragen, da wir mit unserer Entscheidung nicht nur die Entwicklung des Körpers unseres Kindes beeinflussen, sondern auch seine seelische Verfassung im Blick haben sollten.
Um eine Entscheidung dafür oder dagegen zu treffen, ist es wichtig, sich über die verschiedenen Aspekte Gedanken zu machen, die diese Entscheidung beeinflussen. Da gibt es zum einen die “harten” überprüfbaren Fakten, wie
· Was sind Pubertätsblocker und wie wirken sie?
· Welche Folgen und Nebenwirkungen haben sie und welche bleiben dauerhaft?
· Wer entscheidet über die Verabreichung?
Darüber hinaus solltest Du in Deine Überlegungen einbeziehen, was Dein Kind jetzt braucht, um sich wohler zu fühlen und sich gut in das Erwachsensein entwickeln zu können. Maßgeblich für Deine Entscheidung ist, wie Du zu diesem Thema grundsätzlich eingestellt bist und welche innere Haltung Du dazu einnimmst. Denn: durch Deine innere Haltung beeinflusst Du den Weg Deines Kindes direkt mit. Sie wirkt sich auf die Kommunikation sowohl mit Deinem Kind als auch mit dem medizinischen Fachpersonen (Therapeut*in, Endokrinolog*in, Psychiater*in) aus.
Um zu Deiner Einstellung zu kommen, ist es wichtig, dass Du Dich auch mit den „weichen“ Aspekte des Themas auseinandersetzt. Dazu solltest Du Dir die verschiedenen Argumente und Standpunkte der befürwortenden und der ablehnenden Seite anschauen. Hilfreich für Dich kann ein Austausch mit betroffenen Eltern, die diese Entscheidung bereits getroffen haben, sein.
Da die Auseinandersetzung mit dem Thema so komplex ist, schreibe ich in diesem Blogbeitrag zunächst über die oben genannten Fakten.
Im zweiten Teil führe die Bereiche auf, die ebenfalls an der Entscheidung beteiligt sind:
· Die kontroverse Diskussion
· Erfahrungsbericht: Mein persönlicher Entscheidungsprozess
Schauen wir uns die einzelnen Punkte des ersten Teiles einmal an:
Was sind Pubertätsblocker und wie wirken sie?
Wie Du sicher noch aus der Schule weißt, werden die Geschlechtshormone Östrogen und Testosteron in den Eierstöcken bzw. in den Hoden gebildet. Sie sorgen für die Ausbildung der spezifischen sekundären Geschlechtsmerkmale
bei Mädchen:
Brustwachstum
breitere Hüften
Wachstum der Gebährmutter
Menstuationszyklus
bei Jungen:
Kehlkopfwachstum (dadurch Stimmbruch)
Bartwachstum
vermehrtes Muskelgewebe
Längenwachstum, breitere Schultern
Wachstum der Hoden, Samenproduktion
Trans* Personen produzieren ab der Pubertät das unpassende Geschlechtshormon. Diese Personen fühlen sich mit den Auswirkungen des Hormons auf ihren Körper unwohl und viele entwickeln eine Dysphorie gegenüber einem oder mehrerer dieser Merkmale.
Einmal ausgebildet, können diese Veränderungen nicht mehr medikamentös zurückgebildet werden. Insofern ist es ein Glücksfall, wenn sich trans* Menschen schon vor der Pubertät outen und somit eine Ausbildung der Merkmale komplett oder weitgehend verhindert werden kann.
Und nun wird’s etwas komplizierter, weil wir in die Endokrinologie (Hormondrüsenmedizin) hineinschnuppern...
Um die während der Pubertät angelaufene Produktion der Geschlechtshormone zu unterbinden, muss ein Eingriff in die recht komplizierte Hormonkaskade erfolgen. Hormonkaskade bedeutet, dass bis zur Wirkung des Hormons mehrere Stufen durchlaufen werden. Bereits im Gehirn, genauer im Hypothalamus, wird die Hormonproduktion durch Botenstoffe – den GnRH - gesteuert. Bis die Eierstöcke oder Hoden das Signal für die Produktion von Östrogen bzw. Testosteron erhalten, muss noch ein Steuerhormon in der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) gebildet werden.
GnRH-Analoga sind synthetisch hergestellte Substanzen, die den Geschlechtshormonen ähnlich sind. Sie blockieren die Bindungsstellen des körpereigenen GnRH und verhindern damit, dass die Eierstöcke oder Hoden von der Hypophyse (Hirnanhangdrüse) das Signal für die Bildung der jeweiligen Geschlechtshormone erhalten.
GnRH-Analoga zur Unterdrückung der Geschlechtshormone werden seit Jahren in der Humanmedizin in verschiedenen Bereichen eingesetzt, z.B. in der Krebstherapie und bei Endometriose. Bei unter 18-jährigen werden sie im Falle der zu früh einsetzenden Pubertät (Pubertas praecox) verschrieben. Demnach gibt es seit Jahren Langzeiterfahrungen mit der Gabe von Pubertätsblockern.
Welche Folgen und Nebenwirkungen gibt es und welche bleiben dauerhaft?
Du kannst Dir vorstellen, dass der Eingriff in den Hormonhaushalt durch GnRH-Analoga nicht ohne Folgen bleibt und zum Teil auch unerwünschte Wirkungen mit sich bringt. Wichtig ist hier zu unterscheiden, welche der Wirkungen (erwünschte und unerwünschte) nach Absetzen der Pubertätsblocker irreversibel, d.h. bleibend sind und welche reversibel, also umkehrbar sind. Umkehrbar bedeutet, dass bei Absetzen der Blocker die Pubertätsentwicklung fortgesetzt wird, da vom Körper wieder die Hormonproduktion aufgenommen wird.
Die Hauptwirkung der Pubertätsblocker besteht darin, dass durch die ausbleibende Hormonproduktion die körperliche Entwicklung quasi auf dem aktuellen Stand gestoppt wird. Das Wachstum z.B. des Kehlkopfes wird eingestellt, was für trans* Mädchen eine der wichtigsten Wirkungen ist, weil damit das helle Stimmbild erhalten bleibt und kein Stimmbruch in Richtung einer männlich klingenden Stimme erfolgt.
Ebenso wird das Wachstum der Brüste und des allgemeinen Körperbaus wird weitgehend eingestellt, so dass die Beckenknochen der trans* Jungen sich nicht weiterwachsen und somit zu weiblich gelesenen Konturen beitragen. Ebenso ist für trans* Jungs die Folge der ausbleibenden Regelblutung eine meist sehr gewünschte Wirkung.
Durch das Ausbleiben der Hormonproduktion wird der Körper in die Situation versetzt, der in etwa der in den Wechseljahren entspricht. Daher können auch ganz ähnliche Beschwerden auftreten, wie Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen. Viele behandelte Personen leiden auch unter abnehmender Libido und auch das Hautbild kann sich verändern.
Eine weitere Nebenwirkung bei einer mehrjährigen Behandlung ist, dass das Risiko einer Osteoporose steigt. Das bedeutet, die Dichte und damit die Stabilität der Knochen nimmt ab, so dass sie leichter brechen können. Dieser Prozess ist jedoch ein sehr langsamer und wird von den behandelnden Endokrinolog*innen durch regelmäßige Untersuchungen gut überwacht und rechtzeitig erkannt.
Insgesamt kann (muss nicht!) das Körperwachstum leicht geringer ausfallen als ohne Pubertätsblocker. Das ist unter anderem auch ein Grund dafür, dass die Blockergabe nur für die wirklich notwendige Zeit erfolgt und nicht mehr als zwei bis drei Jahre andauern sollte.
Alle diese Wirkungen sind nach Absetzen des Medikamentes wieder vollständig umkehrbar. Die „angehaltene“ Pubertät wird also wieder fortgesetzt. Im Körper werden dann entweder die eigenen Geschlechtshormone produziert oder aber es wird eine gegengeschlechtliche Hormontherapie begonnen.
Viele der unerwünschten Wirkungen der Pubertätsblocker sind für die Betroffenen gut handhabbar. Wichtig ist hierbei eine gute Kommunikation. Als Elternteil kannst Du hier unterstützen, indem Du Dir der (Neben-)Wirkungen bewusst bist und zum Beispiel die Stimmungsschwankungen Deines Kindes nicht persönlich nimmst. Signalisiere ihm, dass es bei Dir immer ein Ohr und eine Umarmung bekommt und dass diese Wirkungen leider zu dem Weg dazu gehören.
In den meisten Fällen sind die jungen trans* Menschen bereit, diese Unannehmlichkeiten zu tragen, da die erwünschten Wirkungen (wie ausbleibende Regelblutung, gestopptes Brust- oder Kehlkopfwachstum) deutlich überwiegen und enorme emotionale Entlastung bringen.
Wer entscheidet über die Verabreichung?
Aktuell gibt es keine medizinischen Leitlinien, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit einem jungen trans* Menschen Pubertätsblocker verabreicht werden können.
Die fachlich zuständigen Personen für die Entscheidung sind in der Regel Endokrinolo*ginnen (Hormonfachärzt*innen). In der Diagnosestellung geht es in diesen Fällen jedoch nicht um eine körperliche Fehlfunktion des Hormonhaushaltes, sondern um die Behandlung einer psychischen Beeinträchtigung durch die Geschlechtsdysphorie. Und diese psychische Beeinträchtigung kann ein*e Endokrinolog*in nicht vollumfänglich beurteilen.
Viele Endokrinolog*innen lassen sich deshalb meist zwei Indikationsschreiben von Psychotherpeut*innen vorlegen, in denen eine Weiterbehandlung mit Pubertätsblockern aus therapeutischen Gesichtspunkten empfohlen wird.
Eine entsprechende psychotherapeutische Behandlung über mehrere Monate hinweg kann also Aufschluss darüber geben, ob eine Behandlung mit Pubertätsblockern für den jeweils betroffenen jungen Menschen sinnvoll ist. Allein die psychotherapeutische Behandlung kann jedoch oftmals den Leidensdruck der Betroffenen nicht ausreichend mindern.
Letztlich ist es eine Entscheidung, die gemeinsam mit der*dem betroffenen Jugendlichen, den Eltern, meist zwei Psychotherapeut*innen und der*dem Endokrinolog*in getroffen wird. Es kommen also die fachlichen und persönlichen Argumente, Meinungen und Sichtweisen von vielen Beteiligten in die Waagschale für die Entscheidung für oder gegen Pubertätsblocker.
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Diese sachlichen Punkte zu wissen, ist für Dich als Elternteil wichtig. Du wirst eine Entscheidung mit gutem Gewissen dann treffen, wenn Du sowohl die Fakten kennst als auch Dich mit den Argumenten für und gegen Pubertätsblocker auseinandergesetzt hast. Diese sehen wir uns im zweiten Teil an.
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Bunte Grüße